Wenn jemand Näheres über Weihnachten in Polen erfahren
möchte, sollte ihm die Macht der Tradition klar werden. Das ist eigentlich das
Schlüsselwort, das die Polen in den drei Tagen begleitet.
Wenn es um ihre
eigenen Sitten geht, sind meine Landsleute sehr konservativ und egozentrisch. Man
weiß ungefähr, dass es in anderen Ländern auch andere Weihnachtsbräuche gibt,
aber dies ist ja eigentlich egal - die eigenen sind sowieso am schönsten. Und
nirgendwo auf der ganzen Welt ist Weihnachten so schön wie in Polen. Punkt. Ich
glaube, dass Weihnachten in Polen so verehrt wird, da an den Tagen die Tradition
so lebendig und beachtet wird.
Die Krönung der drei Feiertage ist Wigilia, d.h.
Heiligabend. Am 24. Dezember haben die Schulen frei, Geschäfte und andere
Einrichtungen arbeiten jedoch bis ca. 14. Uhr. Viele Personen fasten an dem Tag
bis zum Abend, was in der Regel bedeutet, dass man bis dahin nur eine kleine
und selbstverständlich vegetarische Mahlzeit zu sich nehmen darf.
Allgemein
muss man sagen, dass der Tag sehr stressig und anstrengend für die Frauen ist.
Der Mann in der Familie hat seinen Dienst schon vorher erledigt, sprich: die
Karpfen (diese Fischart ist das non plus
ultra auf dem polnischen Weihnachtstisch) besorgt und geschlachtet. Ja, es
ist immer noch ein Teil der polnischen Tradition, den lebendigen Fisch zu
kaufen und ihn zu Hause in der Badewanne schwimmen zu lassen (worauf sich
Kinder und Katzen besonders freuen), um ihm letztendlich das Leben zu nehmen.
Karpfen in der Badewanne
Quelle: Internet
In
den letzten Jahren gab es eine richtige Revolution auf diesem Gebiet. Noch frisch
sind die grausamen Erinnerungen, als viele Menschen die Fische in Plastiktüten und
ohne Wasser transportiert haben. Eine Stiftung zum Schutz der Tiere startet
jedes Jahr eine neue Kampagne, um die Käufer zu sensibilisieren, dass ein Fisch
auch leiden kann. Am Anfang haben die Aktivisten die Karpfen abgekauft und in
die Flüsse geworfen, dann änderte sich aber die Strategie. Man verstand, dass gegen
die Tradition nicht zu gewinnen sei und, statt den Menschen davon abzuhalten,
die Fische lebendig zu kaufen, man eine Aufklärungskampagne starten - und
Promis engagieren - müsse. Zum Glück erstehen immer mehr Menschen schon einen
professionell geschlachteten Karpfen oder Filets.
Noch lebendiger, erwürgter Karpfen (ein polnisches Wortspiel, da "erwürgter" auch "geschmorener" bedeutet) - ein Werbeplakat der Kampagne gegen den Kauf von lebendigen Karpfen.
Quelle: Internet
Wenn wir schon beim Karpfen
sind, muss ich noch dazuschreiben, dass man einige seine Schuppen behalten
soll, um sie in sein Portemonnaie zu stecken. Dies garantiert, dass man im
kommenden Jahr immer Geld darin hat.
Karpfenschuppen bringen Geld!
Foto: Polschland
Das Essen fängt erst an, wenn der erste
Stern am Himmel zu sehen ist - normalerweise ca. um 16.30 Uhr. Ihn zu suchen
ist traditionell die Aufgabe der Kinder, die auf diesem Wege zumindest eine
Weile beschäftigt sind und bei den Vorbereitungen nicht stören. Wenn der Himmel
wolkenfrei ist, ist dies kein Problem, wenn es aber trüb ist, muss man sich
eher mit einem imaginären Himmelslicht zufrieden geben.
Wo ist denn der erste Stern?!
Foto: Polschland
Die ganze Familie
versammelt sich in einem Raum, wo schon ein illuminierter Christbaum steht und ein
festlich vorbereiteter Tisch wartet. In vielen Familien pflegt man noch den
Brauch, ein Fragment des Evangeliums zu lesen - es ist traditionell die Aufgabe
des Vaters. Danach folgt ein kurzes Gebet und man kommt zum nächsten Punkt -
ohne ihn ist der polnische Heiligabend undenkbar.
Die Oblaten liegen schon bereit. Auf vielen Tischen steht auch eine Kerze, die von Caritas verkauft wird.
Foto: Polschland
Jedes Familienmitglied nimmt
eine dünne viereckige Oblate, die dem Esspapier ähnelt und mit einem religiösen
Muster verziert ist. Die geweihten Oblaten
kann man vor Weihnachten in den Kirchengemeinden kaufen. Jede Person kommt zu
der anderen mit seiner Oblate und wünscht ihr alles Gute, verteilt Küsse und
Umarmungen. Man gibt sich gegenseitig ein bisschen von der eigenen Oblate und
isst sie. Die Oblaten werden auch, samt Weihnachtskarten, der Familie und
Bekannten geschickt, um mit ihnen auf diesem Weg das symbolische Teilen
auszuüben. Für Nicht-Polen ist das manchmal ein Schock. Als ich einmal ein
Stückchen davon meiner russischen Bekannten gesendet hatte, war sie erstaunt.
Sie schrieb mir, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Brief bekommen habe,
in dem Essen war.
Nachdem die Oblaten geteilt wurden, setzt man sich an den
Tisch. Das, was sich darauf befindet, muss auch erklärt werden. Unter der
Tischdecke liegt schon ein bisschen Heu, das für die Christen eine symbolische
Bedeutung hat, da Jesus im Stall geboren wurde.
Ein bisschen Heu unter der Tischdecke fehlt nie!
Foto: Polschland
Das Familienmitglied, das den Tisch deckt, vergisst
nie einen zusätzlichen Teller mit Besteck bereitzustellen. Während des ganzen
Abends bleibt der Platz frei. Man sagt, dass es ein Platz für alle ist, die
kein Zuhause haben. Wenn sie möchten, könnten sie an dem Abend zu uns kommen.
Aber ich bin mir fast sicher, dass man jedes Jahr hofft, dass kein Obdachloser plötzlich
in der Tür steht. Es gibt auch eine andere Erklärung des freien Platzes: dass da
am Heiligabend die Geister der verstorbenen Familienmitglieder sitzen.
Egal wie viele Familienmitglieder es gibt - ein Platz bleibt immer frei.
Foto: Polschland
Auf dem
Tisch wartet schon das Essen. Die Gerichte sind jedes Jahr gleich und nach altem
Familienrezept zubereitet. Manche werden sogar ausschließlich nur an einem Tag
im Jahr gekocht. Nicht selten schmecken sie gar nicht, aber selbst das ist
keine Ausrede. Die Tradition ist heilig. Die Ansichten meiner deutschen
Bekannten, die an Heiligabend indisch kochen, jedes Jahr was Neues ausprobieren
oder ein Festtagsmenu samt Tiramisu vorbereiten, wären in Polen regelrecht
verpönt. Man begreift es auch nicht, wie man in Deutschland so was „alltägliches“
wie Würstchen mit Kartoffelsalat essen kann, Argumente wie: „Die haben ja keine
Traditionen“ oder „Man gibt sich einfach keine Mühe“ sind sogar zu hören. Und
überhaupt, dass man an dem Abend Fleisch esse! Obwohl seit einigen Jahren an
Heiligabend auch Fleischgerichte verzehrt werden dürfen (was von der
katholischen Kirche offiziell erlaubt wurde), bleibt das polnische Menu strikt
vegetarisch und alkoholfrei.
Manche von den 12 Gerichten werden nur an Heiligabend zubereitet, wie barszcz z uszkami.
Foto: Polschland
Der Tradition nach, sollten bei dem Abendmahl
zwölf Speisen serviert werden. Zwölf, also so viel wie Monate oder Apostel. Es
gibt immer noch Familien, die sich daran halten. Man kann aber ein Auge
zudrücken und Salz, Pfeffer & Co. dazuzählen, wenn die Zahl nicht
erreichbar ist. Von jeder sollte man ein bisschen probieren, damit sie auch im
nächsten Jahr nicht fehlen.
Was auf dem Speiseplan steht, ist von der Region
abhängig. Ich nenne nur ein paar Beispiele. Zu den populärsten Suppen zählen
auf jeden Fall: barszcz z uszkami (Rote-Betesuppe mit kleinen Tortellinis mit
Pilzfüllung), zupa grzybowa (Pilzsuppe), fasolowa (Bohnensuppe), grochówka
(Erbsensuppe), zupa z siemienia lnianego (Leinsamensuppe), konopii (Hanfsuppe),
migdałów (Mandelsuppe), rybna (Fischbouillon).
Uszka
Fot. Polschland
Barszcz wird ausschließlich aus Gemüsefond zubereitet. Verwendung tierischer Fette ist traditionell verboten.
Foto: Polschland
Das Wort "uszko" (Pl. uszka) bedeutet wörtlich übersetzt "kleines Ohr".
Foto: Polschland
Als Hauptspeise kommen Fische in
allen Variationen. Panierter und gebratener karp/Karpfen fehlt fast nie.
Interessant dabei ist, dass man diese Fischsorte eher selten im Laufe des
Jahres isst, trotz Werbekampagnen. Ob der Fisch auch schmackhaft ist, ist jedes
Jahr ein Glücksspiel - oft erwischt man Exemplare, die unmittelbar nach Schlamm
schmecken. Weiter kommen Karpfen in Aspik (karp w galarecie), śledź w śmietanie
(Sahnehering), andere Fischsorten und ryba po grecku. Wörtlich übersetzt
bedeutet das Letzte „Fisch griechischer Art“, wobei es sich um ein in
Griechenland unbekanntes Gericht handelt: Fischstücke in Tomaten-Gemüsesauce.
Die Hauptspeise in meinem Familienhaus: gekochtes Sauerkraut mit Waldpilzen, Meeretichsauce, Hefebrötchen mit Zwiebelfüllung und... Fischstäbchen. Seit Jahren boykottiere ich den traditionellen Karpfen.
Foto: Polschland
Dazu
serviert man Kartoffeln, pierogi z kapustą i grzybami, eventuell auch ruskie
(Teigtaschen mit Sauerkraut-Pilzfüllung oder mit Kartoffel-Quark-Füllung) sowie
Sauerkraut mit Pilzen, Erbsen bzw. Bohnen (kapusta z grzybami, grochem,
fasolą).
Zum Trinken gibt es kompot z suszu (Dörrobstkompott), der oft aus
geräucherten Pflaumen zubereitet wird. Man
kann ihn lieben oder hassen. Ich zähle zur zweiten Gruppe, da ich mir beim
besten Willen nicht vorstellen kann, wie man eine Flüssigkeit, die nur nach Rauch
schmeckt, zu sich nehmen kann. In einer anderen Variante verwendet man dazu normales
Trockenobst, Nelken und Zimt - diese schmeckt ganz lecker.
Natürlich darf was
Süßes nicht fehlen. In vielen Familien östlicher Herkunft bereitet man kutia
vor, eine Masse aus Weizen, Mohn, Rosinen, Honig und Nüssen. In Oberschlesien
kennt man dagegen makówki - eine Schichtspeise aus Mohn, Rosinen, Milch und
Brötchenscheiben. Typisch schlesisch ist auch moczka, eine Art Lebkuchensauce. Beliebt
sind auch Kuchen (z. B. Mohnstollen/strucla z makiem), Weihnachtsplätzchen
(ciasteczka) und Lebkuchen (pierniki) sowie Orangen und Mandarinen, die im
Kommunismus eine Luxusware und nur vor Weihnachten und Ostern erhältlich waren.
Eine Schüssel mit makówki, einem typisch schlesischen Weihnachtsdessert.
Foto: Polschland
Makówki werden kalt serviert, dazu reicht man heiße Milch.
Foto: Polschland
Die oberste Schicht von makówki wird immer schön verziert, mit Mandeln, Nüssen, Orangeat, Kokosraspeln, Trockenobst etc.
Foto: Polschland
Traditionelle schlesische moczka
Foto: Polschland
Oberschlesische moczka und makówki. Die Variante, die hier zu sehen ist, besteht aus Mohnmasse und Mohnstollenscheiben. In manchen Familien wird sie aber auch mit Zwieback zubereitet.
Foto: Polschland
Weihnachtliche Mohnstollen
Foto: Polschland
Wenn es um das Menu am 25. und 26. Dezember geht, ist man nicht so konservativ.
In manchen Familien isst man gebratene Weißwürste, ansonsten noch die vom
Heiligabend übrig gebliebenen Reste und Feststagsbraten.
Schlesische Weißwürste, die nur in der Weihnachtszeit erhältlich sind, schmecken allerdings ganz anders als die bayerische Variante. Zuerst werden sie kurz gekocht, dann in Mehl gewendet und gebraten.
Foto: Polschland
Verbleiben wir aber
beim Heiligabend. Nach dem Essen kommt der meisterwartete Moment - das
Verteilen der Geschenke. Sie werden in Polen vom Nikolaus, Christkind (Dzieciątko),
Engelchen (Aniołek) oder Sternmann (Gwiazdor) gebracht.
Geschenke verteilt man traditionell nach dem Essen.
Foto: Polschland
Nach und vor der
Bescherung wird gesungen. Polen verfügen über eine Vielzahl an Weihnachtsliedern,
die für sie natürlich die schönsten auf der ganzen Welt sind. Es gibt tatsächlich
eine sehr breite Palette davon - von majestätischen, langsamen bis zu fröhlichen,
von lebhaften bis zu betrüblichen sogar. In der Weihnachtszeit braucht man in
Kirchen kein Gesangbuch, die Weihnachtslieder kennt einfach jeder. Aus purer
Neugier habe ich einmal gezählt, wie viele ich kenne - und landete bei über
dreißig.
Der Heiligabend endet für viele Gläubige in der Kirche, wo gegen
Mitternacht eine feierliche Weihnachtsmette (pasterka) stattfindet. Die Kirchen sind voll;
man kann da in der Regel auch Menschen treffen, die sich dort nur zweimal im
Jahr blicken lassen.
In jeder Kirche steht eine Krippe, die besonders für Kinder eine große Attraktion darstellt.
Foto: Polschland
Der Heiligabend ist mit viel Aberglauben verbunden, was
auf heidnische Wurzeln dieses Festes deutet. In vielen Familien legt man z. B.
eine Münze unter jeden Teller, damit man genügend Geld hat. Aus den Heuhalmen versucht
man zu erraten, wie das kommende Jahr wird. Gut bekannt ist auch das Sprichwort
„Wie der Heiligabend, so das ganze Jahr“; man sollte sich also bemühen, den
ganzen Tag nett zu sein und Streitereien zu vermeiden. Wenn am Morgen als
erster ein Mann ins Haus kommt oder telefoniert, soll das Glück bringen. Ein
Besuch einer Frau bedeutet dagegen Pech. Man sollte an dem Tag niemandem etwas
leihen, um Armut zu vermeiden. Genau um
Mitternacht sollen alle Tiere mit menschlicher Stimme reden können. Es ist aber
ein durchaus schlechtes Omen, ihnen dabei zuzuhören.
Der erste Weihnachtstag
ist traditionell für die Familie reserviert. Man bleibt am liebsten zu Hause,
isst, ruht sich aus und sieht fern. Was oder welcher Sender läuft, ist immer
ein heiß diskutiertes Thema. Kultstatus erlangte schon längst der Film „Kevin -
Allein zu Haus“. Ohne ihn ist Weihnachten in Polen kein Weihnachten!
- Mutti!!! Morgen kommt "Kevin".
- Ich hab' dir doch gesagt, dass Weihnachten ist!
Kevin - Allein zu Haus. Das ist nicht nur ein Film, das ist eine Tradition!
Übrigens:
im Advent organisiert man in Polen in Firmen, Schulen und anderen Einrichtungen
Treffen, die ähnlich wie am Heiligabend verlaufen. Die Speisen werden entweder
selber gekocht und mitgebracht oder bestellt. Es ist ein polnisches Pendant zur
deutschen Weihnachtsfeier oder Weihnachtsmarktreffen.
Polnischer Heiligabend:
- ruskie pierogi/russische Piroggen
- śledź norweski/norwegischer Hering
- barszcz ukraiński/ukrainischer Borschtsch
- wino bułgarskie/bulgarischer Wein
- stolik z IKEI/Tisch von IKEA
- karp po żydowsku/Karpfen jüdischer Art
- ryba po grecku/Fisch griechischer Art
Trotz des Bildes, sind die Speisen typisch polnisch.
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