Ein weiterer
wichtiger Punkt, der für die deutsch-polnischen kulturellen Unterschiede
markant ist, ist das Verhältnis der Menschen zu deren Privatsphäre und zum Datenschutz.
Ein Beispiel dafür.
Vor ein paar Jahren boomte in Polen ein Internetportal Nasza Klasa (Unsere
Klasse) - ein polnisches Pendant zu den späteren meinVZ oder Facebook. Fast
jeder Pole war dabei. Das Netzwerk bot die Möglichkeit, über die ganze Welt
verstreute Klassenkameraden zu finden, alte Bekanntschaften aufzufrischen oder mit
fast vergessenen Cousinen vierten Grades in Kontakt zu kommen. Das Übliche, was
man eben von Online-Communities kennt.
Da in Polen Bescheidenheit
in persönlichen Gesprächen ganz groß geschrieben wird, erwies sich die
Internetplattform zusätzlich als eine gute Gelegenheit, aller Welt zu zeigen,
dass man einen neuen Fernseher hat, die diesjährigen Ferien in Ägypten
verbracht oder sich eine imposante Hollywoodschaukel zugelegt hat.
Das beliebteste Motiv:
Quelle: wiocha.pl
Quelle: wiocha.pl
Selbstverständlich tat
man dies nur indirekt - so trugen die meisten Fotos ganz harmlose und
allgemeine Überschriften, wie etwa „Ein Hauch von Frühling“ oder „Sommer,
Sommer überall“ - dabei wäre doch der Titel „Ich und meine nagelneue
Gartenlaube“ viel besser gewesen.
„Sommer,
Sommer überall“
Quelle: wiocha.pl
Quelle: wiocha.pl
Mittlerweile glaube
ich, dass es für viele Personen keine Tabus mehr gibt. Alles toppen jedoch die
zahlreichen Bilder von Babys, die die stolzen Eltern/Großeltern oder Paten
posten. Mir blieb die Spucke weg, als ich z. B. eine Reihe von Fotos vom abendlichen
Baden sah, auf denen das Kind splitterfasernackt zu sehen war. Die
Bildergalerie war für jeden zugänglich, auch für diejenigen, die mit der Mutter
des Mädchens nicht befreundet waren. Sie verfügte anscheinend nicht über die leiseste
Ahnung, dass solche Fotos als Magnet für Menschen mit bösen Absichten fungieren
könnten. Man fragt sich bei der Gelegenheit, was die Netzwerkadministratoren
tun. Offensichtlich nichts, wenn man so etwas uneingeschränkt veröffentlichen
darf.
„So schön schläft sie, meine geliebte, verehrte
Mutti“
Quelle: funny.pinger.pl
"Mit meiner Familie nach der Feuerbestattung der Mutter"
Quelle: funny.pinger.pl
Eine Situation, die
mir sehr anschaulich machte, wie man in Deutschland die Privatsphäre der Kinder
schützt, habe ich schon sehr früh erlebt. Mit einem Team habe ich damals einen
Malwettbewerb organisiert, der für die Grundschulkinder einer Waldorf- und
Montessorischule bestimmt war.
Schon die Anmeldeformulare
waren eine Kunst für sich und glichen einem Ehevertrag. Die Eltern wurden
gefragt, ob ihr Kind an dem Malwettbewerb teilnehmen darf, ob ihm ein Foto während
der Abschlussveranstaltung gemacht werden darf, ob man das Bild in der
Ausstellung aufhängen darf, ob man die persönlichen Angaben (Name, Klasse,
Schule) unter das Bild schreiben darf, ob man diese auf der Webseite des
Organisators nennen darf, ob das Werk abgebildet werden darf, ob man es in einer
Druckversion in einem Flyer benutzen darf…
Die Litanei von „darf“
Fragen, die man mit „Ja/Nein“ beantworten konnte, nahm fast kein Ende und
bildete zahlreiche Konstellationen. Dies erwies sich als ein Problem, als es
später zur Sortierung der Werke kam.
Tatsächlich fanden
sich Eltern, die nicht wünschten, den Namen, die Fotos bzw. Malbilder ihrer
Sprösslinge zu veröffentlichen. Schade eigentlich, dachte ich mir. Was nutzt der
erste Platz, wenn man als Sieger völlig anonym bleibt?
Wenn ich an in
Polen organisierte Wettbewerbe jeglicher Art denke, kann ich mich beim besten
Willen nicht daran erinnern, dass man daraus eine so große Sache gemacht hatte.
Die Eltern gaben die Informationen über die Kinder sogar gerne preis, denn
schon ein kleiner Artikel in der lokalen Presse war ein Grund, stolz zu sein. Wenn
noch ein Foto dazu gemacht wurde, war die Freude umso größer. Die Zeitung wurde
dann gleich in mehreren Exemplaren gekauft, an die Familie verteilt und allen
Bekannten präsentiert. Um die Rechte des Kindes über sein Malbild kümmerte sich
ebenfalls niemand.
Man kann bildlich
sagen, dass die Aufklärung, wenn es um den Datenschutz in Polen geht, noch in den
Kinderschuhen steckt.
Aber dies ist noch
nicht die ganze Wahrheit, denke ich. Ein weiteres Beispiel. Während in
Deutschland viele Menschen fast auf die Barrikaden gingen, weil sie nicht
wollten, dass ihr Haus je bei Google Street View gezeigt wird (darunter auch
meine Nachbarschaft), traf ich in meiner polnischen Heimatstadt auf eine ganz
andere Einstellung. Mein Cousin informierte mich voller Stolz und Freude, dass das
Google-Auto seine Straße schon fleißig abfotografiert hatte. Und das Beste kam
noch: er sei mit seinem kleinen Sohn im Arm auf die Straße gerannt, weil er
wollte, dass man den Kleinen im Internet sieht! Samt Haus, Garten, Autos vor
der Garage und dem Rest der Familie natürlich. Proteste? Empörung der Massen? Fehlanzeige!
Ein Vergleich der Landkarten von Deutschland und Polen zeigt deutlich, wovon
ich rede
„Die Menschen
protestieren gegen Google Street View aus Angst, weil sie alles fürchten, was
neu ist“, so Artur Waliszewski, der 2010 über die Pläne von Google, in Polen zu
fotografieren, sprach. „Noch einige Zeit nach der Erfindung des Autos musste
ein Mensch mit einem grünen Zweig vor dem Fahrzeug laufen, um die Passanten zu warnen.
Heutzutage finden wir das lustig“, fügte er noch hinzu. Nun ja, wer möchte denn
später als Witzfigur dastehen? Niemand traut sich, die Rolle des Warnenden zu
übernehmen.
Google Street View
bedeutete für die überwiegende Mehrheit der Polen nichts anderes als Fortschritt
- und wer bitte schön möchte als Fortschrittsbremse gesehen werden? „Es gibt
schon Städtchen, Dörfer, Denkmäler - bald das ganze Land. Die große
Aktualisierung Google Street View ist zugleich eine große Lust und natürlich
eine Chance, um das alltägliche Polen der ganzen Welt zu zeigen“, schrieb man
damals. Google Street View wurde den Polen noch schmackhafter gemacht und als
unentbehrlich präsentiert: man bereitete sich damals auf die Euro 2012 vor und
den kommenden Touristen sollte man doch die Orientierung in Polen erleichtern.
„Wer
hat sich in einem weißen Fleck platziert?“
Diejenigen Ortschaften, die nicht
abfotografiert wurden, gelten als hoffnungslose Kaffs.
Quelle: http://pclab.pl
„Ich habe mein Haus
gesehen. Und bekennte Penner auf der Straße. Sie sind überall!“, so eine
Bekannte einer Journalistin, die einen Artikel über Google Street View in Polen
verfasste. „Ich habe sofort mein Haus gegoogelt; seitdem bei Google Maps
tausende neue Panoramabilder aus Polen veröffentlicht wurden, darf jeder sich
sein Anwesen aus der Nähe anschauen. Man muss lediglich auf Google Maps einen
für uns interessanten Punkt finden und ihn maximal vergrößern“, schwärmt sie.
Unter dem Text eine
Umfrage: „Hast du schon dein Haus auf Google Street View gesehen?“. 65% der
Teilnehmer (2266 Personen) meinten „Ja, das ist fantastisch!“, 20% (716) „Nein,
weil es noch nicht da ist“, 11% (381) haben es ebenfalls gemacht und ist unzufrieden,
dass man ihr Domizil sehen kann.
Ich frage mich
immer, ob die Gefahr der Datennutzung so groß ist, dass man in Deutschland jede
Kleinigkeit wie einen Schatz hütet, oder wurde die Sache doch aufgebauscht. Die
Antwort, als in Deutschland lebende Polin, fällt mir nicht leicht. Wäre die
goldene Mitte vielleicht eine?
Zum Weiterlesen:
PL
http://podroze.gazeta.pl/podroze/1,114158,13799571,Znajdz_swoj_dom_na_Google_Maps__Juz_prawie_cala_Polska.html
Zum Weiterlesen:
PL
http://pclab.pl/news53072.html
http://biznes.gazetaprawna.pl/wywiady/446566,ludzie_protestuja_przeciw_google_street_view_bo_to_co_nowe_zawsze_budzi_obawy.html
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